Was ist, wenn sich innerhalb von einigen Wochen und Monaten alles ändert? Wird man damit fertig? Wie geht man damit um, wenn geliebte Menschen immer mehr an Lebensmut verlieren? Wenn man den einstigen Glanz in ihren Augen vergeblich sucht und stattdessen nur einen leeren ausdruckslosen Blick ins Leere vorfindet. Selbst die Stimme ist verstummt und wurde durch leichte Kopfbewegungen ersetzt. Man selbst sitzt neben dem Krankenbett. Und ist hilf- und machtlos. Man kämpft mit den Tränen. Wenn es ganz schlimm wird und die Dämme fast zu brechen zu drohen, dann wird der Blick kurzzeitig abgewendet, um einmal tief Luft zu holen. Einstecken. Mitnehmen. Und den Zusammenbruch im Bad freien Lauf lassen.
Es wird einem bewusst, dass man die Stimme nie wieder in der ganzen Vielfalt hören wird. So, wie das noch vor zwei Monaten der Fall war. Jetzt ist es eher ein leichtes Flüstern, wenn überhaupt. Meistens doch eher ein Kopf- oder Handzeichen. Es blutet das Herz, wenn man der Person anmerkt, dass Schmerzen vorhanden sind. Und das nicht wenig. Man versucht alles, um es noch in irgendeiner Art und Weise zu lindern, aber irgendwann sind einen auch die Hände gebunden und man leidet mit.
Immer wieder tauchen im Gedächtnis Erinnerungen an früher auf, wo alles noch gut war. Es gab regelmäßige Mahlzeiten, die auch ohne Probleme eingenommen werden konnten- ohne Schmerzen. Die Treppe kam man noch wunderbar hoch und runter, konnte unbeschwert laufen und sich auf das Fahrrad schwingen. Die Gartenarbeit konnte erledigt werden und auch das Autofahren stellte keine Probleme da.
Und jetzt? Nichts mehr. Jetzt ist es nur noch ein dahinvegetieren, was die Angehörigen auch nur sehr schwer ertragen können. Aber um der Person noch genug Halt zu geben, werden die Tränen hinter geschlossener Tür vergossen. Weit weg vom Krankenbett. Außer Sichtweite. Der Kloß im Hals wird immer größer und man hat das Gefühl, dass das Herz viele Tonnen wiegt und fast aus der Brust zu brechen droht. Unter dem ganzen Ballast.
Es ist erschreckend zu sehen, dass sich die Person in der sitzenden Position nur wenige Minuten halten kann. Mit Stütze. Und man fragt sich immer wieder: Wie kann das denn so plötzlich auftreten, dass nichts mehr geht? Was ist da passiert, dass die Beine nicht mehr mitmachen wollen? Dass man das Bett nie wieder verlassen kann und auch sonst auf die Hilfe anderer angewiesen ist? Immer?
Dann bekommt man das Gefühl, dass man die Zeit nie wirklich genutzt hat, um noch mehr Unternehmungen gemeinsam zu machen. Dass man sich kaum gesehen hat, was aber völliger Blödsinn ist. Woher kommt dieses Gefühl nur?
Man ist doch quasi bei der Person aufgewachsen. Man hatte sich täglich gesehen. Es wurde gemeinsam im Garten gearbeitet, eingekauft oder man saß einfach vorne auf der Bank, um die Leute zu beobachten und die Stille vom Dorf zu genießen.
Früher wurden Karten gespielt. Vorrangig Mau Mau. Ich weiß nur nicht mehr so genau, wer von uns beiden die Nase vorne hatte. Abends wurde gemeinsam TV geschaut. Er versorgte uns nebenbei mit Äpfeln und Birnen aus dem eigenen Garten. Geschält, entkernt und in mundgerechte Stücke geschnitten.
Wir beide liebten Peter Steiners Theaterstadl. Wenn ich mich nicht irre, kam das immer auf Super RTL. Theater. Vom Feinsten. Das ging auch soweit, dass wir tatsächlich irgendwann mal nach Cottbus fuhren, um uns das mal richtig anzusehen. Wir hatten unseren Spaß.
All das und noch viel mehr geistert durch den Kopf, wenn man durch das Haus läuft. An gewissen Ecken fallen dann doch noch mehr Geschichten ein. Oder man setzt sich in den Fernsehsessel, der schon etliche Jahre auf dem Buckel hat und doch immer das liebste Möbelstück war. Man betrachtet die Schrankwand. Den Kronleuchter. Das riesige Bild, was schon immer über dem Bett hängt und auch nicht mehr wegzudenken ist. Das Bad, wo zumindest die Schränke noch immer an Ort und Stelle stehen, alles andere wurde erneuert.
Erinnerungen, die man teilweise kaum ertragen kann. Wahrscheinlich weil man weiß, dass nie mehr etwas in diese Richtung passieren wird. Man muss versuchen, dass man sich damit abfindet, aber das gelingt nur schwer. Stattdessen sind Tränen an der Tagesordnung. Aber es nützt ja nichts: Es muss raus, ansonsten staut sich das alles auf und man explodiert förmlich.
Was ich mir wünsche? Dass es bald vorbei ist. Hört sich hart an, oder? Aber mal ehrlich: Wer möchte so schon leben? Wer möchte rund um die Uhr betreut werden, weil man selbst nichts mehr machen kann? Wer möchte die Schmerzen ertragen? Ich würde es nicht wollen. Und ich wünsche es auch den anderen nicht.
Ich vermisse die alte Zeit. Die Stimme. Den Glanz in den Augen. Die Lebenslust. Das gemeinsame Sitzen auf der Bank. Schweigen. Und um uns herum die warme Frühlingsluft, die grüne Wiese und die Katzen.
Es wird für immer fehlen.
riesen Lob!
Vielen Dank!