Tätowiert. Na und?

558332_10150995654246487_1877898930_nIch kann mich noch ganz gut daran erinnern: Vor rund 10 Jahren wuchs der Wunsch in mir mich tätowieren zu lassen. Es wurde auch nicht besser, als sich bald auch meine Mutter und mein Bruder mit „Hautbildern“ präsentierten. Neid war angesagt. Damals war ich großer Die Ärzte-Fan, 14 Jahre alt. Und ich überlegte, welche bandtypischen Dinge man sich tätowieren lassen könnte: Über Portraits zu Autogrammen bis zur allseits beliebten Gwendoline. All das geisterte in meinem Kopf rum. Aber wenn ich heute so darüber nachdenke, bin ich wirklich froh, dass ich nicht mit einer Gwendoline auf dem Unterarm rumrennen muss. Der Geschmack verändert sich. Die Band mag man zwar noch immer, aber längst nicht mehr so intensiv wie vor 10 Jahren.

Irgendwann war auch die große Ärzte-Phase abgeschlossen, aber der Wunsch nach einem Tattoo blieb bestehen. Und wer kennt es nicht: Die Frage nach dem richtigen Motiv. Das ist wohl das schwerste an der Sache. Ich wollte nie etwas haben, was keine Bedeutung für mich hat. Kein dämliches Arschgeweih oder ähnliches. Warum war das noch so in Mode? Ich kann es nicht nachvollziehen. Versucht es mir zu erklären, bitte!

Ich wusste aber, dass es indirekt etwas mit Musik am Hut haben sollte.

Es gibt Songs, die einen durch schwere Zeiten helfen. Aufbauen. Ein Lächeln ins Gesicht zaubern, auch wenn es nur für 3 Minuten ist. Diese Songs prägen und haben einen dauerhaften Platz im Herzen eingenommen.

Einer dieser Songs ist „C’mon Kid“ von Dave Hause (The Loved Ones). Es hat sich regelrecht bei mir eingebrannt. Allein schon der Titel ist aussagekräftig genug.

Und am 20. Juli fand ich mich in einem Tattooladen (Früher „Immer & Ewig“, heute „Alte Liebe“) wieder. Timo, mein Tätowierer, meinte: „Ich zeig dir mal die Skizze!“ Und als er mir diese vorlegte, war ich sprachlos.

Denn von mir bekam er 1 1/2 Monate vorher nur solche Brocken wie „Leuchtturm“ und „C’mon Kid soll mit eingebaut werden.“ vor die Füße geschmissen. Nun saß ich Timo gegenüber und starrte regelrecht auf die Skizze. Leuchtturm, C’mon Kid, Möwen & Wolken. Ich war begeistert und willigte sofort ein.

Ich dachte an Dave Hause. Der Song schwirrte durch meinen Kopf.

Ich wusste auch, an welche Stelle dieser Turm kommen sollte. Unterarm. Denn es war für mich wichtig, dass ich es immer vor Augen habe. Ein Therapie-Tattoo, wenn man so will.

Provokant für andere, die keine Fans davon sind.

3 1/2 Stunden später verließ ich den Laden- mit Leuchtturm. Glücklich, aber doch etwas geschafft von der Prozedur.

In den ersten Tagen dachte ich: Nie wieder! Denn dieser ständige Juckreiz, den der Heilungsprozess mit sich führte, trieb mich schon am frühen Morgen in das Bad, um kurz kaltes Wasser über den Leuchtturm laufen zu lassen. Half auch. Zumindest für einen Augenblick. Die Wund- und Heilsalbe von Bepanthen und ich wurden die besten Freunde.

Die erste Zeit wurde ich gefragt, ob es „echt“ wäre. Nein, natürlich nicht! Ich sammle noch immer Leidenschaftlich die Abziehtattoos aus der Bravo und wollte diese mal wieder ausprobieren. Jemand was dagegen?

Andere fragten mich, ob das Tätowieren mit Schmerzen verbunden war. Das ist ja immer so eine Frage, die jeder anders beantwortet. Ich für meinen Teil kann sagen, dass es teilweise mit Schmerzen verbunden war, die man aber aushalten konnte. Besonders am Handgelenk, auf dem Knochen, war es alles andere als angenehm. Was aber nur fies ist: Man liegt schon seit 2 1/2 Stunden auf der Liege. Die Haut bereits mehr als gereizt. Der Tätowierer geht erneut überall mit der Nadel entlang. Und dann geht er mit dem Papier von der Küchenrolle rüber. Wischt entlang. Und das 5x hintereinander. Es fühlt sich an wie Sandpapier. Und beim vierten Mal möchte man am liebsten schreien und den Tätowierer schlagen.

Aber sieht man nach 3 Stunden in den Spiegel und sieht das Ergebnis, dann ist das alles schnell vergessen.

Es ist Kunst, die man mit sich trägt. Für immer. Man ist eine wandelnde Leinwand. Schaut man sich seine Tätowierungen an, dann weiß man, welche Geschichte dahinter steckt. Was man erlebt hat. Etwas, was man später seinen Enkeln erzählen kann. Das tägliche „Gute Nacht- Geschichten“ vorlesen wird ersetzt durch „Zurück in die Vergangenheit“. Immerhin auch mit Bildern, aber dafür mit der eigenen Geschichte. Eigentlich eine sehr schöne Vorstellung.

Aber man merkt: Die Blicke der anderen Menschen. Die noch immer denken, dass man sich diese im Knast hat machen lassen. Die noch immer engstirnig durch die Gegend laufen und Menschen nur nach dem Äußeren bewerten.

„Ach, der/die ist tätowiert. Und bestimmt kriminell!“

Diese Leute beschäftigen sich nicht genug damit. Sie schauen sich die Tattoos nicht einmal genauer an und auch Fragen bleiben aus. Nein, ein abwertiger Blick reicht in ihren Augen schon aus. Vielen Dank.

Ich war letztens wieder bei zwei Konzerten von Dave Hause (Berichte aus Berlin & Hamburg folgen!). Und ich bekam eine Gänsehaut, als er den Song „C’mon Kid“ anstimmte. Als das Publikum aus vollem Halse den Refrain mitsang und zumindest in Berlin das Schiff ins Wanken brachte.

Und ich weiß besonders in diesen besonderen Momenten, dass es absolut richtig war. Dieses Motiv, dieser Song, diese Aussage. Und ich werde es nie bereuen. Auch wenn mich viele Fragen: „Was ist, wenn es dir in 5 Jahren nicht mehr gefallen wird?“

Das wird nicht passieren. Dafür bedeutet es mir viel zu sehr.

Ich denke eher, dass Leute, die sich ein Tattoo stechen lassen, weil es gerade in Mode ist, es in einigen Jahren bereuen werden und viel Geld für eine Laserbehandlung ausgeben. Ja, da bin ich mir ziemlich sicher.

Ein Tattoo sollte eine Bedeutung haben. Ich lese in einigen Foren immer: „Welches Motiv würdet ihr mir vorschlagen?“ Welch ein Rotz. Dann sollte man es ganz lassen. Oder sich noch einige Jahre Bedenkzeit geben, ob man das wirklich möchte. Es ist etwas für´s Leben. Da sollte man sich keiner Kurzschlussreaktion hingeben.

Manche nehmen sich auch nicht die Zeit, um sich nach einem geeigneten Tätowierer umzusehen. Nein, warum auch? Und dann kann man sämtliche verhunzte Tattoos im Internet bestaunen. Manche wollen auch Geld sparen und nehmen das billigste Angebot. Ich für meinen Teil gebe dann eher etwas mehr aus, wenn ich weiß: Der Tätowierer kann was! Dann sind es halt 50 Euro mehr als woanders. Aber damit kann ich sehr gut leben. Wenn ich weiß, dass mein Termin in 4 Wochen ist, dann trete ich halt auf die Bremse und spare dafür. Klamottenkauf? Rumstöbern in Plattenläden? Fällt dann flach, aber was solls? Das kann man dann wieder im nächsten Monat ausgiebig machen.

Und die Aussage: „Wenn du einmal damit angefangen hast, kannst du nicht mehr aufhören!“ Habe ich nie wirklich geglaubt. Aber jetzt weiß ich: Es stimmt! Verdammt. Es ist eine regelrechte Sucht.

Hat man während der Heilungsphase gedacht, dass man es nie wieder macht und sich diesen Juckreiz erspart, steht man 6 Wochen später da und freut sich, dass schon bald der nächste Termin fällig ist. Dass der linke Unterarm fertig wird. Man ist auf die Skizze gespannt, die der Tätowierer anfertigt. Und dann die Prozedur. Der Heilungsprozess. Und schließlich das Ergebnis, wenn alles verheilt ist und man schon die nächste Idee im Kopf hat. Ein Teufelskreis! Aber ein schöner, den ich nicht mehr missen möchte.

Ein Tattoo, das eine eigene Geschichte mit sich trägt und mit dem man einen seiner Herzensmusiker huldigt. Auch wenn es eher auf den zweiten Blick zu erkennen ist. Es muss ja nicht alles offensichtlich sein, nicht wahr?

Musik und Tattoos passen perfekt zueinander. Ob nun der Musiker oder die Leute, die die Musik schätzen, tätowiert sind. Das macht keinen Unterschied. Es macht regelrecht Spaß, sich diese Hautbilder aus der Ferne oder aus der Nähe zu betrachten. Kleinigkeiten zu entdecken. Und sich mit dem Träger auszutauschen.

Und ein passender Satz zum Schluss, der wie die Faust aufs Auge passt:

„Alte Haut sieht auch ohne Tattoos scheiße aus.“

Punkt.

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