‚I’m ashamed to mention my anguish..‘ Über Musik & Depressionen.

10437464_10208657120961915_6647848531399001100_nNeue Kategorie. Neues Glück! Oder wie war das noch gleich? Mal weg von Reviews und Tourankündigungen und rein in ein doch eher ernsteres Thema: Depressionen. Eine ernstzunehmende psychische Krankheit, die viele Außenstehende leider zu sehr auf die leichte Schulter nehmen. Weil sie sich nicht mit dem Thema auseinandersetzen. Oder eben einfach nicht wollen. Stattdessen wird den Betroffenen ein ’schlauer‘ Spruch nach dem nächsten reingedrückt, was natürlich äußerst unpassend ist und noch weiteren Schaden anrichtet, obwohl dieser auf den ersten Blick nicht sichtbar ist.

Viele denken, dass es einfach ’nur‘ Traurigkeit ist, dabei ist es noch so viel mehr! Was wären doch all die Betroffenen froh darüber, wenn man 5 Tage im Monat einfach nur etwas traurig wäre, um die restliche Zeit vergnügt durch die Weltgeschichte springen zu können. Ohne Sorgen. Ohne Zweifel. Ohne Ballast. Ohne Seelenqual.

Ich bin mir nicht sicher, wieviele Musiker und auch Musikbegeisterte ich für diese Kategorie in der Zukunft gewinnen kann. Auf jeden Fall wird man in unregelmäßigen Abständen das eine oder andere Interview lesen können, denn die ersten Zusagen erhielt ich bereits.

Starten wir mit dem ersten Interview, ne? Ich bin zwar kein Musiker, dafür aber durchaus musikbegeistert!

Wie bist du auf die Idee gekommen, diese Kategorie ins Leben zu rufen?

Ganz einfach: Harker, ein wunderbarer Musiker, schrieb vor einiger Zeit folgendes bei Facebook:

Depression is proven to cause social inactivity, confusion and loss of memory. It impairs our ability to create long term memories, and makes the most easiest of tasks difficult.

I wrote the lyrics to ‚Sleepy Eyed‘ during a point where I was losing functionality in my hands. My brain was disconnected to what I was doing, I wouldn’t eat, sleep properly or interact. I felt vacant, not residing in my own mind and at points comatose to my surroundings.

No matter how hard things can get for us, we need to remember who we are underneath all our issues. Remember to stay true, speak out about what may be eating you from inside and know you’re not alone in mental illness.

Dabei knackte es im Hirn & es ließ mich nicht so recht los- bis ich dann dachte, dass es ganz interessant wäre, ein paar Leute über dieses Thema zu befragen. Einfach, um einen Einblick zu geben. Anderen, die nicht daran leiden, einen Spalt der Tür zu öffnen und mal hinter die Kulissen schauen zu lassen. Verkehrt kann es nicht sein, oder?

Aber warum solch ein Thema?

Warum nicht? Ach, eigentlich ganz einfach: Ich leide ebenfalls unter dieser doch recht heimtückischen Krankheit. Deswegen das Interesse daran und ich bin wirklich sehr gespannt, wie andere auf die Fragen antworten werden und was man dabei alles erfährt. Vielleicht kann man etwas mitnehmen? Lernen? Mehr Verständnis aufbringen? Wahrscheinlich von allem ein bißchen!

Gab es einen Schlüsselmoment, wo du gemerkt hast, dass es sich nicht nur schlicht um Traurigkeit handelt, sondern um eine Krankheit?

Erstmal: Vielen Dank an Esther für diese Frage! Je älter man wurde, desto mehr hat man darüber nachgedacht. Früher war ich zum Beispiel wahnsinnig schüchtern. Dazu alles andere als ein Modeltyp, auch bis heute nicht. Schulzeit war die Hölle, weil man halt immer Außenseiter war. Hieß also: Viele viele Sprüche abbekommen. Am Sportunterricht eher weniger teilgenommen, weil man ja das Sportzeug ‚ausversehen‘ daheim vergaß. Sachen, wie Geräte- und Bodenturnen verweigert, weil man sich nicht noch weiter reinreiten wollte. So richtig glücklich war ich selten, man setzte sich ab und an eine Maske auf. Ich hatte halt oft nur schlechte Laune. Dachte ich. Dachten alle. Die Zweifel kamen und blieben. Der Selbsthass ebenfalls.

Mit den Jahren merkte ich, dass ich mich immer mehr zurückzog. Treffen mit Freunden wurden spontan abgesagt. Konzerte, auf die man sich schon lange im Vorfeld freute, wurden gestrichen. Man wollte einfach keiner Menschenseele begegnen, mit niemandem reden. Menschenansammlungen wurden gemieden. Man bekam nichts richtig auf die Reihe. Man nahm nicht mehr aktiv am Leben teil.

2 Dinge, die sich bei mir eingebrannt haben und die Vermutung bestätigten, dass es sich eben nicht nur um schlechte Laune oder einfache Traurigkeit handelte:

1.) Ich war in Essen. Konzert von Matze Rossi, Turbobart & co. Ich merkte, dass ich in keiner guten Verfassung war. Dass mir nicht nach Menschen zumute war. Der Raum war relativ klein. Ich merkte, wie ich innerlich immer aggressiver wurde. Mir ging während des Konzertes wirklich alles gegen den Strich: Ob der Kameramann oder die Mädels, die ständig labern mussten. Irgendwann merkte ich, dass es meine Kehle langsam und sicher zuschnürte. Das Atmen fiel schwerer. Der Brustkorb wurde von einer schweren Last erfasst. Das Herz raste. Noch bevor überhaupt der allerletzte Song in Sichtweite war, musste ich dringend raus. Ich lief und lief und bekam fast keine Luft mehr. Panikattacke deluxe! Ich hatte das Gefühl, jeden Moment zusammenzubrechen. Auf dem ganzen Weg zurück gab es fast keine Chance die Tränen aufzuhalten.

2.) Frisch nach Hamburg gezogen. Auf der Arbeit immer jemanden gehabt, der nie mit der erbrachten Leistung zufrieden war. Mit der Zeit ging gar nichts: Ich ging am Morgen zur Arbeit, funktionierte. Unerklärbares Stechen in der Brust. Danach ging es zurück zur Wohnung. Das Bett wurde zum allerbesten Freund. Man schaute TV, hörte Musik. Brach fast jeden Tag weinend auf dem Boden oder unter der Dusche zusammen. Ein erdrückendes Gefühl gepaart mit einer inneren Leere. Ein täglicher Krieg, den man da mit sich selbst führte. Tag für Tag. Man wurde gereizter, manchmal so sehr, dass ich mich nicht mehr wiedererkannte. Selbst im Supermarkt stiegen einen plötzlich die Tränen in die Augen. Keinerlei Selbstvertrauen. Man redete sich immer ein, dass man nicht genug gibt. Dass man nutzlos ist, ständig versagt.

Also depressiv war ich irgendwie schon immer. Je mehr man darüber nachdenkt, je mehr vergangene Situationen durchfluten den Kopf. Umso klarer wird alles. Aber nicht wirklich einfacher.

Hast du mal einen Arzt aufgesucht?

Nein. Ich hatte es oft im Kopf, ja. Aber irgendwie kann ich nicht über diese Schwelle springen, irgendetwas hält mich auf. Wahrscheinlich ist es dieses ‚Mir wird bestimmt keiner glauben. Was mach ich dann? Zum nächsten laufen? Nein, dafür würde mir die Kraft fehlen.‘ Ich weiß noch ganz gut, als ich damals vor dem Betriebsarzt saß, versuchte die Maske aufrecht zu halten. Und er fragte mich irgendwann nur, wie es mir so gehen würde. Ganz einfache Frage. Mir stiegen die Tränen auf, eine richtige Antwort konnte ich nicht geben. Danach bin ich rüber nach Bremen gefahren, Egotronic & co. sollten spielen. Was soll ich sagen? Ich fing bei einer der Bands fast an zu heulen. Und nicht, weil sie plötzlich zu Weichspülpop übersiedelten.

Welche Sprüche muss man sich manchmal anhören?

Ach, Sprüche gibt es da ja genügend. Ob es nun ‚Reiß dich mal zusammen!‘, ‚Anderen geht es schlechter als dir!‘ (Nach dem Motto, dass man dann ja glücklich und zufrieden sein sollte und aufhören sollte zu jammern.) oder ‚Ach, jeder hat mal eine schlechte Phase. Die ist nach wenigen Tagen überstanden!‘. Dazu noch ein aufmunterndes Schulterklopfen und schon ist das ‚Gespräch‘ wieder vom Tisch. All das führt dazu, dass sich Betroffene anderen nur noch selten öffnen, weil man das Gefühl hat, dass man nicht mal im Ansatz versucht wird, einen ernst zu nehmen. Man hat das Gefühl, dass man eine Last ist. Dass man sich verpissen kann, wenn man keine gute Laune versprüht.

Oft denke ich viel zu viel nach. Bin kaum gesprächig. Weil ich einfach nicht kann. Weil mein Kopf zwar voll ist, aber ich dennoch nichts über die Lippen bringen kann. Da ist diese Bremse vorhanden. ‚Erzähl doch mal was!‘ Aber es funktioniert nicht. Das überfordert. Man denkt sofort, dass man furchtbar langweilig wäre und die Fresse nicht aufbekommt. Aber all das ist keine Absicht. Es geht einfach nicht. Auch das ist dann Futter für die Dämonen: Lieber alleine unterwegs sein, keine Vorwürfe. Nicht reden müssen, nicht dazu gezwungen werden. Da haben wir dann wieder die soziale Isolierung, in die man sich wieder treibt.

Wie versuchst du dich abzulenken, wenn du mal wieder in einer Phase steckst?

Ich versuche vor die Tür zu gehen. Runter zum Hafen. Aber auch das scheitert oft, weil man sich vielleicht 10x umzieht, weil man nicht zufrieden ist und sich furchtbar häßlich findet. Nach etlichen Versuchen landet man dann doch eher gefrustet auf dem Sofa.

Ansonsten hilft mir die Blogarbeit ein wenig, ich versuche mich dann auf eine bestimmte Platte zu konzentrieren oder bereite ein Interview vor. Manchmal klappt selbst das nicht, weil eine Schreib- und Denkblockade einsetzt, die auch gerne mal einige Tage anhalten kann.

Ansonsten Musik. Viel Musik!

Konzerte funktionieren leider nicht mehr so oft, wie noch vor Jahren. Man verliert tatsächlich an all den Dingen, die einen früher pure Freude bereiteten,den Spaß. Man brennt nicht mehr lichterloh und das schmerzt tierisch. Man kann sich nicht durchringen hinzugehen. Einerseits würde man gerne, andererseits legt man keinen Wert darauf, 3 Stunden irgendwo in einem Club rumzustehen und anderen dabei zuzusehen, wie sie scheinbar so leichtfüßig durch’s Leben traben, während man selbst von Innen zerfressen wird. Ich habe so viele Konzerte verstreichen lassen, auf die ich mich zuvor freute: Frank Turner, Nessi, Nathan Gray, Matze Rossi, um nur mal einige zu nennen. Es tut schon weh zu merken, dass das einst geliebte Hobby so zum Außenseiter mutierte. Aber ich arbeite dran, dass es wieder etwas näher Richtung Mittelpunkt rückt.

Kann es dann jede Art von Musik sein?

In gewissen Phasen ist es besser, sich dann eher Richtung (Punk)Rock zu orientieren. Etwas krachiges, lautes mit mehr Antrieb.

Ich habe nämlich oft den Fehler gemacht, dass ich dann Songs von Gisbert zu Knyphausen, Spaceman Spiff oder ähnlichem aufgelegt habe. Also eher diese melancholische Schiene. Da stellt man sich dann gerne ein Bein, weil das natürlich nach hinten losgehen kann und man somit noch tiefer im Treibsand feststeckt.

Dennoch ist und bleibt Musik ein Lebensretter. Musik wirkt beruhigend. manchmal sogar hypnotisch. Man konzentriert sich dann eher auf die Melodien und Songtexte. Es wird im Kopf wieder neuen Platz geschaffen. Die Dunkelheit wird ein wenig an die Seite gerückt.

Welche Gedanken machen einem besonders Angst?

Dass man keine Lust mehr hat. Auf dieses Leben. Dass es besser wäre nicht mehr zu existieren. Einfach weg. Diese Stimme im Kopf will einem nämlich immer einreden, dass es eh niemanden auffallen würde. Und nachtrauern? Auch das ist mehr als absurd. Jeder würde sich freuen, wenn das psychische Wrack einen Abgang macht.

Ein Song, der das Thema ein wenig aufgreift, bzw. das Gefühlschaos und den man sich mal anhören sollte?

Da gerne mal bei Joey Cape reinhören:

‚I keep this room, and this room keeps me..‘

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