Jeder dürfte es schon erlebt haben: In unregelmäßigen Abständen kommt einen immer wieder ein bestimmter Künstlername unter die Augen, setzt sich im Hinterkopf fest. Man findet nur nie wirklich die Zeit und die nötige Ruhe, um sich mit diesem Musiker auseinanderzusetzen. In die Songs reinzuhören. Die Homepage zu durchwühlen. So kommt der Name ganz oben auf den imaginären ‚Unbedingt auschecken. DRINGEND!!‘ Stapel und staubt etwas ein. Doch Herr Zufall lässt nicht locker: Man wird immer wieder hingeschubst. Er scheint sagen zu wollen: ‚Man, jetzt hör doch endlich mal rein! Nimm dir die Zeit, denn ich weiß ganz genau, dass dir das alles gefallen wird!‘
Hätte ich nur mal eher auf diese Stimme gehört, denn der mächtige Yellowknife hat mein musikalisches Herz im Sturm erobert!
Yellowlove. Klein. Kompakt. Herzlich. Schlagfertig. Großartiger Typ!
Wenn er dort oben auf der Bühne steht, seine Lieder in einer abgeschwächten Variante wiedergibt (Im Sinne von: Nur er und seine Gitarre), wenn das Publikum bei den ersten Tönen verstummt und man merkt, wie das eigene Herz ins Stolpern gerät. Wie er jedes einzelne Gefühl, welches er in diverse Textzeilen steckt, den Leuten vermitteln kann, ohne aufgesetzt zu wirken. Seine grundsympathische ‚Ich stehe auf den Zehenspitzen während ich singe!‘ Sache, welche schon fast (also doch schon sehr!) HYPNOTISCHE Auswirkungen beim Publikum mit sich zieht.
‚Wooden Future‚, ein Album, welches mit jedem Hören wächst und gedeiht. Neue Perlen werden immer wieder an die Oberfläche befördert, Textzeilen verinnerlicht, Melodien aufgesaugt. Mindestens 1x am Tag läuft die Platte bei mir, egal, welcher Gemütszustand auch gerade bei mir aktuell sein sollte. Ich kann zum Beispiel noch so sehr am Boden liegen, am Abhang stehen: Die Songs reichen mir die Hand, versuchen mich ein Stückchen zurück Richtung Sicherheit zu ziehen- und das schaffen sie auch.
Wundervoller Mensch. Berührend. Mitreißend. Und vielleicht sollten wir alle mal so eine kleine Tour von Yellowknife mitmachen, quer durch Deutschland. Oder was meint ihr?
Aber eh ich mich jetzt noch weiter in Worte verliere, lassen wir endlichendlichENDLICH Tobi zu Wort kommen und können uns jetzt durchlesen, welche Platte seine Freundin aus dem gut gefüllten Schrank zog und welche Erinnerungen damit verbunden sind!
Vielen vielen Dank dafür!
Prolog: „Gut Ding will Weile haben“ oder so ähnlich. Nachdem ich dieses Vorhaben „Plattenalarm“ nun schon recht lange mit mir rumschleppe, stieg auch meine Ehrfurcht immer weiter an. Denn seitdem ich 18 Jahre alt bin kaufe ich Platten und mit der Zeit haben sich schon ein paar Alben angesammelt, zu denen ich heute nur noch wenig sagen kann. Musik ist für mich immer mit dem Kontext verwoben, in dem ich sie höre – mit der Phase, in der ich ein Album, eine Band oder eine/n Solo-Künstler/in entdeckt habe. Und dieses Gefühl läuft für mich dann immer wieder mit, wenn ich die Platte auflege. Insofern ist mein Plattenschrank eine Art Erinnerungs-Sammlung, ein Gefühlsspeicher, der eben nicht nur Zeitloses enthält, sondern auch viele Abschnitte konserviert, die irgendwie abgeschlossen sind. Mein Plattenschrank ist alphabetisch geordnet – nicht die kreativste Form, aber ein bewährter Klassiker der Sortierung und nicht so freaky-aufwändig wie die Reihenfolge-Eskapaden aus High Fidelity. Insofern war es mit der Zufälligkeit für mich selbst etwas schwierig und ich habe mir Unterstützung in Form meiner Freundin geholt, die eine Platte für mich gezogen hat. Und diese ist:
Zunächst bin ich froh, dass es nun doch ein zeitloser Klassiker geworden ist. Und eine Platte, die Erinnerungen aufsaugt und archiviert wie wenige andere in meinem Regal. Das Album kann ich für mich persönlich nicht nur als Meisterwerk bezeichnen, sondern als absolut bahnbrechende Entdeckung auf meiner musikalischen Reise. Zum ersten Mal auf „The Notwist“ und das Album „Shrink“ wurde ich mit 13 oder 14 Jahren aufmerksam – ich war mit meinen Eltern im Urlaub und auf dem Hotelfernseher konnte man MTV und Viva sehen. Da wir zuhause keine SAT-Schüssel und auch kein Kabelfernsehen hatten, war das für mich unglaublich spannend. Irgendwann lief dieses Video, das einen schratigen Typen zeigte, der sich abgehackt bewegte und von Kabeln, Toastern und Bügeleisen verfolgt wurde. Dazu lief ein Geräuscheteppich, der irgendwo zwischen Tischtennisbällen und Käferkrabbeln changierte, über dem eine leicht nölige Stimme einen einprägsame Zeile sang, die mich nachts im Hotel direkt ansprach: „You are no good. You are no good. Cause I know you can’t sleep.“ Dass ich den Rest der Zeile nicht verstand und den Sinn dadurch verdrehte, ist mir erst später aufgefallen – aber in diesem Moment war es fast schon gruselig, dass dieses Lied wie für mich geschrieben schien. „Chemicals“ von „The Notwist“ konnte ich in der Einblendung lesen und ich weiß noch, dass ich dachte, diese Musik ist so etwas besonderes, so einzigartig und anders, dass es keine andere Band geben kann, die auch nur ansatzweise ähnlich klingt. Die Kombination aus eingängigen Melodien, diesen strangen Geräuschen, dem Drive und dem Gesang hat ab diesem Moment eine Anziehungskraft auf mich entwickelt, die bis heute geblieben ist. Den Song habe ich in diesem Urlaub damals tatsächlich nur ein einziges Mal gehört – und da es 98/99 noch kein Spotify oder sowas gab, musste ich den restlichen Urlaub wieder mit meinen Oasis-Mixtapes verbringen. Eine Zeit später hatte mein älterer Bruder einen „Crossing all over“-Sampler zuhause (Crossover war ja Ende der 90er der heiße Scheiß), den ich mir dann auch mal leihen durfte und neben Fear Factory, HBlockx und Guano Apes war genau dieser Song zu finden. Ich weiß nicht, wie oft ich „Chemicals“ ab diesem Tag gehört habe. Er tauchte jedenfalls auf allen Mixtapes und allen gebrannten Mix-CDs auf, die ich gemacht habe und er nutzte sich einfach nicht für mich ab – er klingt auch heute noch spannend, frisch und so besonders wie damals im Hotel. Weitere Songs von „The Notwist“ sollte ich jedoch erst ein paar Jahre später hören. Ich begann, in meiner ersten Schülerband zu spielen, und musste erstmal durch Punkrock, Nirvana und so durch.
Mit 17 dann aber gab mir ein Freund ein Album namens „Neon Golden“ – zu dem ich mindestens genauso viel schreiben könnte – und ich legte mir kurz danach auch „Shrink“ zu – Jahre später dann auch auf Vinyl. Originalpressungen dieses Albums sind wohl ziemlich rar, werden bei Discogs heiß gehandelt und waren zumindest in all den Plattenläden, die ich über die Jahre in Deutschland abgegrast habe, nicht zu finden. Gut, dass irgendwann ein Re-Press rausgekommen ist und ich mir endlich dieses Album in den Schrank stellen konnte. „Shrink“ ist ein unglaubliches Album: abwechslungsreich, melancholisch, episch auf eine angenehmunaufgeregte Art, einnehmend und schlichtweg faszinierend.
Ich könnte zu allen Songs viel zu viel schreiben, versuche das hier aber mal kurz zu halten:
• „Day 7“ ist mit der beste Albumopener, den ich je gehört habe.
• „Chemicals“ ist abgesehen von meinen Erinnerungen schlichtweg ein unglaublich guter Popsong im besten Sinne.
• „Another Planet“ hat diesen sehr eigenen Drive und diesen typischen Notwist-Gitarrensound, den ich liebe.
• „Moron“ verwandelt so ziemlich jede Situation, in der man sich befindet, in eine Verfolgungsjagd aus einem 60er-Jahre-Agentenfilm und ist eine Offenbarung für alle, die denken, dass Sie keine instrumentale Musik mögen.
• „Electric Bear“ erzeugt eine fast unheimliche Stimmung, in der man meint, den Bären um die Häuser schleichen zu hören.
• „No Encores“ ist diese geile Kombination aus einem einfachen Gitarrenriff, einer guten Melodie und abgefahrenen Rhythmen.
• „N.L.“ ist das zweite instrumentale Stück auf der Platte, das einen total in seinen Bann zieht, entspannt und gleichzeitig aufputscht.
• „Shrink“ ist so angenehm schwerfällig, leicht kaputt und hat diese megaguten Streicher und dieses Funk-Gitarrenlick.
• „Your Signs“ ist der Höhepunkt des Albums und zeigt die unglaubliche Musikalität dieser Band: die Bläser, der Aufbau, der treibende, monoton-dynamische Beat – diese Kombination ist genau das, was mich an „The Notwist“ so fasziniert.
• „0-4“ entlässt einen mit der Vocoder-Line zurück in den Alltag.
Insgesamt ist „Shrink“ eine Platte, die ich nicht nur gerne und oft aus dem Schrank ziehe, sondern vor allem ein Album, das ich sehr bewusst höre und auf das ich mich einlasse. Denn nur dann entdeckt man die vielen Details, die hier drinstecken und kann in den Gedanken und Erinnerungen schwelgen, die in jeder Rille mitlaufen.
Köln im Mai 2016
Tobi | Yellowknife