‚I don’t like my mind right now…‘

‚Chester ist tot…‘

Dieser Satz ist mir im Kopf haften geblieben. Gehört habe ich ihn, als wir in Schweden beim Kaos Skola Festival waren, auf der Veranda standen und auf das Grundstück schauten. In diesem Moment erreichte es mich noch nicht zu 100%, weil man an diesen Tagen ständig abgelenkt wurde und hier und da irgendwas erledigt werden musste. Zum ersten Mal machte es KLICK, als am Sonntag der Trubel abfiel, der Herzschlag sich wieder etwas normalisierte und einfach durchatmen angesagt war- und mich die Depression wieder schlagartig im Griff hatte, die ich seit Tagen -mal mehr, mal weniger- gut unter Kontrolle hatte. Dachte ich zumindest.

Ich zog mich zurück auf den Dachboden, meine Laune sackte blitzschnell ab. Dieser ständige Kampf mit sich selbst macht mürbe, müde und zerstört das restliche Gute, was man noch im Inneren trägt. So scheint es zumindest. Von den Menschen Abstand nehmen, die man mag und teilweise erst dort in Schweden kennenlernte, weil man nicht stören möchte und erstmal wieder mit sich selbst klarkommen muss, irgendwie.

Ich begann im Internet zu lesen. Manchmal ist auch das einfach schon der allergrößte Fehler. Überall blinkte es auf: Chester Bennington nahm sich das Leben. Der Chester, der stets offen mit seiner Depression und Suchtproblemen umging. Der in Interviews versuchte zu erklären, wie es bei ihm im Kopf aussieht und dabei manchmal auf kurzes Gelächter vom Gegenüber stieß. Warum? Weil Menschen, die nicht von dieser Krankheit betroffen waren/sind, sich so überhaupt gar keine Vorstellungen machen können, wie es in den allerdunkelsten Phasen aussehen kann. Wie oft man an Suizid denkt. Wie oft man sich wertlos, niedergeschlagen, allein und absolut hilflos fühlt. Wie oft man vor einem Scherbenhaufen sitzt und man versucht, jedes einzelne Teil, jeden noch so kleinen Splitter wieder zu einem Ganzen zusammenzufügen. Wie oft einen die Vergangenheit einholt und diverse Wunden einfach nicht anfangen können zu heilen. Zumindest ein kleines bißchen. Wie oft man eine innere Leere verspürt, die einen mit jedem weiteren verstrichenen Tag ein wenig mehr in den Wahnsinn treibt. Ständig muss man sich neu ins Leben kämpfen und wie oft hat man einfach keine Kraft mehr dafür übrig.

Diese Menschen sehen eben nur die glitzernde Hülle: Chester war erfolgreich mit Linkin Park. Ständig auf Tour, im Studio und stets unterstützt von einer immer größer werdenden Fangemeinde. Außerdem war er glücklich verheiratet und konnte 6 Kinder zu seinem allergrößten Schatz zählen. Da fragen sich Außenstehende schon: Er hatte doch alles- warum?!

Aber das ist es eben: Ob jemand nun viel Geld besitzt, eine steile Karriere hingelegt hat, viele Freunde vorzeigen kann oder eine liebevolle Familie sein Eigen nennen kann- all das kann die Krankheit nicht stoppen oder gar komplett vernichten. Klar, eine Depression kann niemand sehen, deswegen ist es auch der Grund, warum viele noch darüber lächeln und einen das eher als Schwäche auslegen wollen. Da gibt es oft nur ein kurzes Klopfen auf die Schulter und ein lapidares ‚Wird schon wieder!‘ und ‚Reiß dich einfach mehr zusammen!‘ gratis dazu.

Von uns Betroffen gibt es dafür einen ernstgemeinten Mittelfinger als aufrichtiges DANKESCHÖN zurück.

‚Just cause you can’t see it
doesn’t mean it
isn’t there.‘

Es hört sich seltsam an, aber mich hat diese Nachricht tatsächlich sehr schockiert, weil es eben doch mehr als unerwartet kam und ich Linkin Park immer gut fand, zuletzt aber leider etwas aus den Augen verlor. In the end, Crawling, Numb und wie die Songs alle hießen, liefen damals in Dauerschleife. Minutes To Midnight, ein Album, welches ich zum Beispiel heute noch derbe abfeiere. Denn man fühlte sich auf eine unsichtbare Art und Weise verbunden. Von all den Texten her, die tweilweise schmerzten, aber auch zeigten: Ey, du bist nicht allein!

Und das war eben der Zauber an dieser Band: Die Texte, die so vielen Menschen auf der ganzen Erde aus der Seele sprachen, die nicht selbst die richtigen Worte finden konnten, um anderen ihren Gemütszustand mitzuteilen. Chester Bennington wurde zu einem Sprachrohr für alle Depressionsgeplagten. Dabei legte er immer eine gewisse Stärke und Offenheit an den Tag und das war wahrscheinlich für mich die Sache, die mir wie ein riesiger Stein im Magen lag: Er wollte am Leben teilnehmen. Er kämpfte. Er hatte Spaß. Er hatte die ungeheure Leidenschaft zur Musik, war so talentiert und mit seiner Stimme, gerade wenn es in den akustischen Bereich ging, hinterlässt bei mir auch jetzt noch eine durchgehende Gänsehaut.

Wenn man sich vielleicht gerade wieder in einer ganz guten Phase bewegt, kann ein unvorgesehenes Ereignis einen dennoch wieder schneller den Boden unter den Füßen wegreißen als man gucken kann. So wird es Chester ergangen sein, als er die Mitteilung über den Tod von Chris Cornell bekam. Plötzlich ist nichts mehr wie es mal war und man rutscht wieder diesen steinigen und schmerzhaften Abhang hinab, ohne eine wirkliche Chance auf eine rettende Hand, auch wenn da vielleicht gute Freunde versuchen, einen etwas rettendes zuzuwerfen. Aber was bringt das, wenn man nicht danach greift/greifen kann, weil sich der Abstand rasant vergrößert?

Welch ein tragisches Ende. Und das mit 41 Jahren.

Und all diese hasserfüllten Kommentare. Darüber, dass er sich umbrachte und dabei nicht an seine Familie dachte, was er ihnen damit antut. Aber diese Kommentare kommen eben von den leuten, die sich noch nie mit dem Thema Depression und ihre verschiedenen Auswirkungen auseinandergesetzt haben. Leute, die denken, man würde nur rumspinnen und diese Krankheit wäre erlogen. Aber wenn dem so wäre- warum zum Teufel wählen dann so viele diesen Ausweg? Falls jetzt natürlich jemand damit kommt, dass das keine Lösung ist- ich sehe das ganz anders. Es ist eine Lösung. Ich kann es nachvollziehen, dass jemand diesen Schritt geht. Wahrscheinlich weil ich weiß wie es ist, wenn man diese ganzen Suizidgedanken mit sich rumträgt und man selbst auf diesen einen Knall wartet, der einen diesen Abhang runterstößt.

Es ist hart. Diesen Wirbelsturm im Kopf einzudämmen. Abzuschwächen.

Und selbst wenn man die Stärke hat und sich bei jeder schlechten Phase versucht dagegen zu stellen- irgendwann gibt man doch auf, weil man keinen Atem mehr übrig hat. Keine Kraft. Und man am Ende aufgibt.

Mach’s gut, Chester!

 

 

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