#fuckdepression 1.

Übrigens: Wer sich schon immer fragte, warum ich über all die Dinge, die in meinem Kopf, in meiner Seele, in meinem Leben passieren, schreibe und denkt, dass ich nur nach Aufmerksamkeit winsel, dem sei versichert, dass das garantiert nicht der Grund dafür ist. Der Grund ist viel mehr, dass ich viele Jahre einfach nicht wusste, was bei mir schief lief. Warum wurde mir von anderen immer schlechte Laune vorgeworfen und warum hatten sie damit Recht? Warum war ich anders als andere? In mich gekehrt, ruhig, zurückhaltend, sensibel und das Herz stets tonnenschwer? Wann fing dieser Selbsthass an, diese negativen Gedanken? Warum verlor man die Freude und die Leidenschaft an den Sachen, die immer an erster Stelle standen? Wo kam die innere Leere her? Warum gab es tagtägliche Zusammenbrüche? Warum fehlten mir die Worte, wenn es ganz schlimm wurde? Warum nisteten sich Suizidgedanken ins Hirn? Welche Auslöser gab es für brenzlige Situationen? Warum weiß ich in depressiven Phasen nicht mehr wer ich überhaupt bin?

Mit all den Jahren wurden stets neue Puzzleteile zugefügt, bis sie am Ende ein Ganzes ergaben und der Grund feststand: Das Ding namens Depression, welches mal nur leicht zuschlug, mich aber dafür ein anderes Mal direkt ohne Vorwarnung ausknockte.

Ich habe für mich gemerkt, dass es gut ist darüber zu schreiben, um mir genau vor Augen führen zu können, was da eigentlich gerade los ist. Um mich vielleicht auch einfach nur auskotzen zu können und einen kleinen Anteil von diesem riesigen Brocken loszuwerden. Eine Art Befreiungsschlag, wenn man so möchte. Ausserdem möchte ich anderen Betroffenen damit zeigen, dass sie in all ihrem Schmerz nicht alleine dastehen und ich weiß nicht wie es euch damit geht, aber ich finde das enorm wichtig. Zu wissen, dass es dort draussen ebenfalls Menschen gibt, die all dieses Leid mit sich tragen (müssen), oftmals versteckt, um sich vor Vorurteilen zu schützen. Menschen, die jeden Tag auf’s Neue kämpfen müssen- um den Alltag zu schaffen, um zu atmen. Und solang ich auch nur eine einzige Person damit erreiche, mache ich weiter. Immerhin kann man solche Artikel wie diesen hier ja auch gerne links liegenlassen, wenn er nicht zusagt, kein Problem.

Oben kurz erwähnt, hier mal etwas näher drauf eingegangen: Suizidgedanken. Ein Thema, welches gerne ausgespart, übersprungen wird. Warum aber? Ist es für den Gesprächspartner so unangenehm, fühlt man sich dabei eher rat- und hilflos?

Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, wann sie mich zum allerersten Mal heimsuchten, sie waren einfach irgendwann da und sind seitdem ein stiller Begleiter von mir. Mal schlummern sie vor sich hin und ich kann unbeschwerte, leichtere Tage verbringen. Kann das erste Eis des Sommers genießen, durch die Stadt schlendern oder am Hafen sitzen und Schiffe und Möwen beobachten. All das funktioniert super, wenn man die innere Balance gefunden hat und erleichtert durchatmet.

Aber es gibt da auch leider genügend schwarze Löcher, in die man immer wieder fällt. Wirkte alles zuvor bunt, treibend und fröhlich, versickern all die Farben und alles erstrahlt nur noch in einem tristen Grau- und Schwarzgemisch. Es ist, als ob man in einem Tunnel feststecken würde, selbst die Hand vor den Augen ist kaum noch zu erkennen. Man beginnt um sein Leben zu rennen, weiß aber weder wo oben, unten, links oder rechts ist- dadurch lässt der gewünschte und dringend benötigte Notausgang auf sich warten.

Die Gedanken kreisen unaufhörlich und die Stimme sagt zu dir: Ey, was für einen Sinn siehst du eigentlich in deinem Leben? Na? Fällt dir wieder nichts dazu ein, nicht wahr? Was machst du eigentlich noch hier? Du trittst seit Jahren nur noch auf einer Stelle, kannst keinerlei Erfolge vorweisen, während alle um dich herum Schritt für Schritt ihre Ziele erreichen. Und du? Gehst lieber noch 3 davon rückwärts. Und wenn ich schon dabei bin: du bist alles andere als eine gute Freundin und Familienmitglied. Verschwende nicht weiter ihre wertvolle Zeit und hör auf ein weiteres Problem für sie zu sein. Ein lästiges Problem. Du bist wertlos, warum siehst du es nicht endlich ein? Ich hatte dich doch schon oft kurz davor. Kurz vor dem letzten Atemzug. Los, beende es. Auf was wartest du noch? Du weißt genau, dass ich dich kriegen werde.‘

Eine Stimme, die markanter nicht sein könnte und immer lauter wird. Wenn es ein Ausmaß annimmt, welches ich selber nicht einschätzen kann, merke ich, dass ich unruhiger werde. Innerlich. Ein ungeheurer Druck baut sich auf, welcher meinen Brustkorb fast zum zerbersten bringt. Ich kann nicht auf einem Fleck sitzen bleiben, ich muss mich bewegen, irgendetwas machen, eh das Kartenhaus komplett einstürzt. Aber all die versuchte Ablenkung bringt nichts, alles prasselt auf mich ein. Ich befinde mich mitten in einem unzähmbaren Tornado, der mit jeder Umdrehung mehr Macht entwickelt und alles umnietet, was in die Quere kommt.

Es zerfetzt mich, der innere Schmerz zieht sich durch meinen Körper, es gibt kein Entrinnen. Der Druck steigt und steigt und steigt, die Tränen sind nicht aufzuhalten, ich denke an Flucht. Flucht vor dem Schmerz und der quälenden Stimme im Kopf, die mich umbringen möchte. Ich sinke auf die Knie, krümme mich. Alles staut sich. Ich möchte irgendwas kaputt schlagen, den inneren zu einem körperlichen Schmerz werden lassen. Wenn ich es irgendwie schaffe mich aufzurappeln, muss ich raus. Ich muss weg. Zwei gute Beispiele dafür: Letztes Jahr in München, als man auf Tour war. Die Wände der Unterkunft kamen immer mehr auf mich zu, ich hielt es nicht mehr aus. Zog die Schuhe an, eine leichte Jacke. Draussen schneite es, der Schnee war wenige Zentimeter hoch. Ich fror. Ich lief und lief und lief, sah vor lauter Tränen alles verschwommen. Ich war mit meiner Kraft vollkommen am Ende, war außer Atem. Dennoch pushte mich irgendwas, trieb mich voran, ich solle weitergehen. Irgendwann blieb ich erschöpft stehen, an einer Kreuzung. Sah mich um, schaute nach rechts, sah eine Brücke.

‚Na? Was denkst du? Wäre eine gute Möglichkeit, oder? Ich glaube, dass es keine bessere Möglichkeit mehr in dieser Nacht geben wird. Meinst du, sie ist hoch genug? Komm, lass uns mal näher rangehen!‘

Verrückt, aber ich tat es. Aber irgendwas ließ mich erschaudern, wahrscheinlich doch noch der letzte Funke Lebenswille, der sich nun zu Wort meldete. Verfroren, mit 0,0% Energie und Kraftreserven ging es zurück zur Unterkunft, in der Küche liefen noch viele Tränen, als ich vor dem Fenster saß und dem Schneetreiben zusah.

Und das andere Beispiel vom 26. Mai, als ich bei der Tour von Nathan Gray war. Kurz vor der zweiten Show in der Tropfsteinhöhle packte es mich erneut so stark, dass es mich selbst sehr überraschte. Der Auslöser war mir völlig schleierhaft, aber ich musste raus, lief fast noch Ben Christo über den Haufen. Kaum kam ich vor der Höhle zum Stehen, brach der Tornado los. Der Schmerz ergriff mich, ich befand mich erneut im dunklen Tunnel. Wo muss ich hin? Welcher Weg ist jetzt der sicherste? Was zur Hölle passiert hier gerade..?!

‚Hey! Ich bin es mal wieder. Hast du mich schon vermisst?‘

Ich fing an zu laufen. Die Sonne war schon lange untergegangen und ich stolperte einen verlassenen Waldweg lang. Ich werde nie vergessen, wie friedlich und still alles um mich herum war, während in meinem Kopf ein absolutes Chaos und ein ungeheurer Lärm herrschte. Ich lief außer Atem steilere Straßenabschnitte und Gehwege hoch. Welch entsetzlicher und durchdringender Schmerz, der sich in Sekundenschnelle ausbreitete und mir regelrecht die Kehle zuschnürte. Meine Kraft war bereits nach dem letzten Abschnitt aufgebraucht.

‚Ha! Du wirst langsamer. Du willst aufgeben und zwar komplett. Ich spüre es ganz genau. Du möchtest dieses Leben nicht mehr leben. Du möchtest einfach deinen Frieden finden und nicht mehr in diese verstörenden Phasen abrutschen, durch die Nächte laufen und nicht wissen, ob du noch die darauffolgenden Tage erwischen wirst.‘

Während Nathan Gray seine Songs spielte, rannte ich um mein Leben und ich weiß nicht mehr, wie ich aus dieser Nummer rausgekommen bin.

Es ist, zumindest für mich, in solchen Situationen schwierig, mich an Freunde zu wenden. Weil mir die Worte fehlen, weil ich kein Ballast sein möchte. Es fällt mir schwer, sich mir reichende helfende Hände zu greifen. Ich weiß, dass dort draussen ganz besondere Menschen sind, die mir Hilfe angeboten haben. Die mir sagten: Ey, wenn du dich in solch einer Lage befindest, meld dich. Ich bin da! Und ich bin diesen Menschen wirklich mehr als dankbar. Die verstehen wie es in einen vorgeht und dass man eben nicht alles alleine schaffen kann.

Und ich hoffe, dass ich diese Kraft am Ende aufbringen kann, mich bei ihnen zu melden, wenn ich merke, dass es gefährlich wird. Wenn ich merke, dass ich an der Klippe stehe und alles unter mir bröckelt.

Falls ihr jemanden kennt, der mit Depression, Suizidgedanken und co. zu kämpfen hat, versucht für diese Person da zu sein. Ohne kluge Ratschläge. Leiht ein offenes Ohr und verteilt herzliche Umarmungen. Das reicht meistens schon.

You are not alone.

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