
Kids, ich bin sowas von too late to the party (sagen das noch die coolen Teenies von heute?!), dass es schon fast schmerzt, denn seit vielen Monaten geistert das neue Werk Nothing is simple von City Light Thief im Netz rum. Während alle möglichen Blogs und Magazine ihre Meinungen fristgerecht mitteilten, eierte ich zwischen diversen Zeilen rum und kam auf keinen -für mich- grünen Zweig. Vielleicht bin ich da ein wenig zu engstirnig, aber wenn ich irgendwas mit keinem guten Gefühl veröffentlichen kann, lass ich es- bis ein gewisser Abstand eintritt und mir beim Hören immer wieder Beispiele einfallen, wie ich es beschreiben würde. UND DAS IST ENDLICH PASSIERT! Es gibt Alben, bei denen mir sofort etwas einfällt und das Tippen beginnt. Aber es gibt auch viele Veröffentlichungen, die Zeit brauchen. Zeit, um sich in all ihrer Pracht und unbändigen Schönheit zu entfalten und darunter fällt auch Nothing is simple.
Klassischer Herbsttag im Norden: Der Wind klatscht durch die Straßen, die in allen erdenklichen Farben schillernden Blätter werden im Sekundentakt von den Bäumen geschleudert, der Regen ein Dauergast. Du irrst in deiner winzigen Kellerbude umher, irgendwo zwischen dreckigen Fenstern, bröckelnden Putz und wenig Tageslicht. Die vorbeieilenden Menschen nimmst du nur als zuckende Beine war, viel mehr siehst du von ihnen nicht. Die vorhandenen Augenringe erzählen von vielen schlaflosen Nächten, (w)irren Gedankengängen, nichts von den bisher geliebten Dinge bringt mehr Freude, sämtliches Essen schmeckt nur noch fade, alles hat seinen Sinn verloren und du schlitterst ungehindert durch einen schier endlosen dunklen Tunnel, der sämtliche Kraftreserven aufbraucht…
and for a few days I swear, I swear I had lost my grip
Du funktionierst irgendwie, versuchst eine Fassade aufzubauen und nicht vor aller Augen einen Zusammenbruch zu erleiden. Mal mehr, mal weniger gut. Du quälst dich mit einem großen Seufzer in Klamotten, in denen man sich draussen halbwegs blicken lassen kann. Es ist alles andere als leicht die Wohnung zu verlassen, wenn man im Moment keine fremde Menschen und schon gar nicht sich selbst ertragen kann. Aber es nützt alles nichts.
the ice beneath me getting thinner
Die ersten Schritte an der frischen und reinigenden Luft schmerzen, alles in dir schreit nach umdrehen und lieber in den eigenen vier Wänden verhungern, aber du setzt dich durch- endlich mal wieder. Mit gesenktem Kopf gehst du durch die allseits bekannten Straßen, Menschen versuchen dir mit ihren Regenschirmen mindestens ein Auge auszustechen, du fluchst leise. Nach einigen Metern erreichst du dein Ziel: Rewe. Ein Laden, der dich oft zu Besuch hat. Du weißt wo alles steht und das macht die ganze Geschichte leichter. Kurz vor dem Eingang bleibst du im strömenden Regen stehen, schließt die Augen und atmest einige Male tief ein und aus. Um den erhöhten Puls zu beruhigen und runterzufahren.
rest your head, rest your eyes. you’re the stranger
Es funktioniert halbwegs. Während du noch etwas zögerst, rempeln dich im Sekundentakt irgendwelche Menschen an und geben dir zu verstehen, dass du ihnen im Weg stehst, aber dir könnte gerade nichts egaler sein. Denn das hast du in deinem Leben immer schon gemacht- anderen im Weg gestanden, somit ist das leider nichts Neues mehr für dich und du nimmst es hin. Einfach so. Wie du es schon immer getan hast, aber das muss sich endlich ändern. Das weißt du, aber bis dahin ist es noch ein weiter steiniger Weg den man auf sich nehmen muss und das alles barfuß. Endlich gehst du weiter, die wohltuende Wärme des Supermarktes erreicht dich, Musik läuft unaufgeregt im Hintergrund. Während alles um dich herum zu wuseln scheint, hörst du genauer hin und die erste Zeile brennt sich tief bei dir ein:
let go of your heavy heart. you’ve always been worrying too much
Ein Lächeln huscht dir über das Gesicht. Du streifst durch die Gänge, vorbei an Obst und Gemüse, dass in sämtlichen Farben vor dir liegt und nach Aufmerksamkeit schreit. Du bist unsicher, kannst dich nicht genau festlegen. Hunger ist vorhanden, aber keinerlei Appetit. Das tägliche Essen wird zum Spießroutenlauf. Während du am Regal der fertigen Nudelsoßen angekommen bist, kreuz und quer schaust und merkst, wie sehr dich das alles gerade überfordert und du die Tränen nicht mehr zurückhalten kannst. Toll, einmal vor dem Nudelsoßenregal bei Rewe zusammenbrechen? Check!
died in a record store when I was 28. came close before, but then it was too late. first the knees went weak, forget how to speak
Während du es versuchst heimlich zu vertuschen, hörst du diese Zeile und denkst: tausche Plattenladen gegen Rewe, dann passt das aber auch mega gut! Da ist es wieder- dieses eine kurze Lächeln. Denn du merkst wieder, wie sehr dir die Musik selbst in den allerschlimmsten Fällen helfen kann, sei es auch nur für einen Moment. Für einen Moment der Unbeschwertheit. Für einen Moment ohne diesen tiefsitzenden Schmerz, der dich langsam aber sicher auffressen und vernichten will. Dieser ständige innere Kampf gehört seit Kindheitstagen zu dir und wird es auch weiterhin. Diese Akzeptanz ist manchmal nur schwer einzuräumen, aber am Ende hast du keine andere Wahl.
when I’m all at once, but nothing complete
City Light Thief ist eine Band, denen man Zeit einräumen muss. Es ist nicht so, dass du einen Song hörst und direkt sagst: GEIL! Nein, ganz im Gegenteil: Oft war es für mich so, dass ich Lieder hörte und mir dabei vorkam, als ob ich an einem riesigen Wühltisch bei Rewe stehe, an dem alles vertreten ist. Von diversen Käsesorten, über Konserven, Schokolade und anderen Kleinkram. Habe ich also zum ersten Mal bei Nothing is simple reingehört, war es so, als ob ich von all dem angebotenen Kram alles mal in der Hand hatte, sämtliche Vielfalt. Und wenn ich dachte, dass ich schon alles erspäht habe, kam ganz unten doch wieder etwas ganz Neues zum Vorschein- und das war verdammt erfrischend.
Während es bei der Vorgänger EP Shame noch relativ melodiös zuging und somit schneller und besser zu schlucken war, forderte Nothing is simple zu mehr Aufmerksamkeit auf. Diese Platte erreichte mich in einer schlechten Phase und bei den ersten Hördurchgängen musste ich abbrechen, weil es mich teilweise noch mehr runterzog. Einige Zeilen ohrfeigten mich regelrecht und rissen alte Wunden auf oder fügten sich genau in die frischen ein. Auch ein Grund dafür, dass ich mich nicht zum Erscheinungsdatum darum kümmern konnte, wie ich es gerne getan hätte.
Somit ruhten die 10 Songs einige Wochen, der Sommer verstrich. Alle hatten bereits ihre Meinungen kundgetan, nur ich kam wieder nicht aus dem Knick. Solang ich selber nichts zu einer Platte geschrieben habe, solang lese ich mir auch keine anderen Reviews darüber durch. Klingt komisch, ist aber so. Vielleicht aus angst, mich zu wiederholen oder unbemerkt etwas von einem anderen Blog/Magazin zu übernehmen.
Aber was kann ich sagen? In den letzten Wochen und Monaten lief Nothing is simple in Dauerschleife bei mir. Bei CLT ist es so, dass du das Gefühl hast, dass sich die Jungs regelrecht die Brustkörbe aufreissen und uns somit tief in ihr Innerstes mitnehmen. Die Schattenseiten des Lebens aufzeigen, aber noch immer gut die Kurve bekommen, wenn es um gewisse Hoffnungsschimmer geht. Da gibt es unzählige Zeilen, die man am liebsten direkt mitbrüllen würde, wenn man in der Stadt unterwegs ist und die Ohrstöpsel tief verankert hat. Zeilen und Songs, die man stillschweigend aufsaugt, die dir helfen wieder auf die Beine zu kommen, dich an die Hand nehmen und dich aus dem dunklen Tunnel führen. Eine Platte, die bis zuletzt berührt und unglaublich mitreißend ist. Als ob du hibbelnd in einer Achterbahn sitzt, das Startsignal ertönt und sich die Bahn langsam in Bewegung setzt. Anfangs etwas holprig unterwegs, du wirst mitgezogen bis zum höchsten Punkt, um dich dann in der nächsten Sekunde vollkommen in den Sitz fallen zu lassen. Die Arme werden automatisch nach oben gehalten und sämtliche Gefühle laufen gleichzeitig Amok. Irgendwas zwischen permanenten Glücksgefühlen und Furcht vor der nächsten unvorhersehbaren Kurve, die dich fast im hohen Bogen und bei voller Fahrt rausschleudert.
Danach steigst du aus, die Haare in sämtliche Richtungen verwuschelt, ein breites Grinsen auf den Lippen, ein Kribbeln im Bauch und der Durst nach mehr. Viel mehr!
Das alles ist Nothing is simple und noch so viel mehr! Eine ständige Achterbahnfahrt, wie auch im wahren Leben. Man weiß nie was kommen wird, aber man versucht es zu meistern. Mal gelingt es, mal scheitert man grandios. Neue Wege werden eingeschlagen, Plan B wird ausgepackt. Irgendwie geht es schließlich immer weiter. Ein Album, welches ein fester und treuer Begleiter in meinem Alltag geworden ist und es wächst und wächst und wächst. Ich könnte euch noch nicht mal sagen, welcher Song daraus mein Favorit ist, weil ich sie alle auf ihre Art und Weise liebe. Sehr sogar. Mit all ihren wohlgeformten Ecken und Kanten sind sie auch irgendwie zu einem Teil von mir geworden. Versteht ihr was ich meine?
Genug geschwafelt- absolute Kaufempfehlung! Wahrscheinlich habt ihr die Platte schon alle bei euch im gutsortierten Regal stehen, aber falls nicht: bitte direkt rüber zum Shop von Midsummer Records, da gibt es sogar noch die limitierte Auflage zu ergattern! MEGA!
Zum Shop: HIER!
+++Tour+++
09.11. Jena, Rosenkeller
10.11. Leipzig, Halle5