
Nachdem uns vor einigen Tagen der wunderbare Marcel Gein/ Perry O’Parson den einen oder anderen tiefen Einblick gab, machen wir heute weiter mit Helmet Lampshade! Ein Typ, der musikalisch und menschlich glänzt- er ist stets der heimliche Spitzenreiter der Herzen. Ehrlich, emotional, mitreißend in seiner Art und Weise. Es dauert zwar ein wenig bis man mit seiner Musik, mit seinem Gesangsstil warm wird, aber wenn der berühmte Schalter erstmal umgelegt wurde verschlägt es einen regelrecht die Sprache- so zumindest erging es mir. Aber ich muss sagen, dass ich wirklich mehr als froh bin, dass ich Marcel, Jule und Michy beim Kaos Skola Festival kennenlernen durfte und mich ihre Songs seitdem auf Schritt und Tritt begleiten und es mich ab und an nach xy zieht, um mir zum Beispiel eine Show von How I Left anzusehen. 2019 gerne mehr davon (zumindest solang, bis mich diese Herren nicht mehr sehen können, ne?)! Vielen vielen Dank nochmal an Perry und Helmet, die sich regelrecht in die Interviews reinknieten und wirklich schöne Antworten ablieferten!
Jetzt überlassen wir aber endlich Jule das Wort, ja? Und ab:
The Joyless Sound of Happiness: wie entstanden Albumtitel & Plattencover?
Das Gemälde auf dem Cover haben wir aufgrund von Marcel’s Song 1884 ausgesucht – das Lied wurde von dem Kunstwerk “das kranke Kind” von Edvard Munch inspiriert. Marcel hat sich eine Geschichte dazu ausgedacht & einen Song geschrieben. Wir haben dann für das Cover etwas recherchiert und sind auf die Skizze gestoßen die uns noch besser als das Original-Bild gefiel.
Der Titel beschreibt glaub ich unser Wesen ganz gut. Für mich muss Glück nicht immer jauchzend und frohlockend sein – auch eine kleine Geste genügt häufig, ein kurzes Schmunzeln zwischen zwei alten Freunden oder das freudlose, erschöpfte Ausatmen/Aufstöhnen vor dem Einschlafen wenn das Gewicht des Tages von einem abfällt.
Dein Lieblingswitz?
Uff, bin eher ein Fan von Situationskomik – aber ich mag den Witz mit den zwei Nullern und der Acht mit dem Gürtel die sich begegnen. Wer den Witz in voller Länge hören möchte erreicht mich gerne unter meiner 24h Witze-Hotline.
Gibt es Themen, die du nie in Songtexten verarbeiten würdest?
Eine schwierige Frage, da bei mir meistens Fiktion und echte Geschehen zusammen spielen – daher hab ich wenig Skrupel. Nur, Leute an den Pranger stellen mag ich nicht so gern. Ansonsten kommt fast alles in Frage – so lange es einen interessanten Twist hat. Ich hab zum Beispiel mal ein Lied über den Typen geschrieben, der den größten Industriebetrug der Nachkriegsgeschichte durchgezogen hat – Stichwort “Flowtex”. Ich hab versucht das Ding aus seiner Sicht zu beschreiben & mich in ihn reinzuversetzen, da er bis zum Gerichtsurteil & wahrscheinlich darüber hinaus keinerlei Schuld bei sich sehen wollte. Es macht mir Spaß die Perspektive zu wechseln und mich in Situationen & Gefühle reinzudenken oder mir Sachen komplett auszudenken. Das liegt wohl daran, dass ich abseits der Musik ein recht geordnetes Leben führe und mir nicht so furchtbar viele verrückte Sachen passieren.
Wie entscheidest du, welche Texte du für How I Left und welche du für Helmet Lampshade nimmst?

Die Helmet Lampshade Sachen schreib ich meistens nachts wenn alle schlafen- mit Kopfhörern in meiner kleinen Musikecke zuhause am Mini-Piano. Die How I Left Sachen entstehen dagegen meistens im Proberaum mit Michy (Schlagzeuger How I Left) zusammen und ich spiele Gitarre. Bei HIL geht das oft fix, unkompliziert und sehr intuitiv/punkrock – die Texte mach ich dann zuhause in Ruhe.
Bei den Helmet Sachen ist es meistens deutlich anstrengender. Da mach ich alles selber, ich arbeite ja nur mit alten 90er Jahre Samplern, Sequenzern und obskuren Synthesizern, alle Sounds sind elektronisch. Das erfordert mehr Energie und nachdenken – macht es aber auch leichter an unvorhergesehene Orte zu kommen, Songwriting technisch.
Manchmal, wenn eine Songidee für Helmet nicht funktioniert, der Song aber zu schade für den Müll ist, probier ich das selbe Stück nochmal mit Michy aus und plötzlich ergibt sie dann Sinn.
Dafür bin ich sehr dankbar!
Wer Rocky Votolato noch nicht kennen sollte: bei welchen drei Songs sollten die Leute reinhören, um sich einen ersten Eindruck zu verschaffen?
Boxcutter (“Trust that everything happening’s perfect” ist für mich einfach eine wundervolle Hookline und ich mag die Produktion sehr)
Alabaster (perfekter Folk-Song – ich empfehle die Version von „Live at the Black Belt“)
Without Eyes still seeing (Mein erster Rocky-Song. Nachdem ich durchs Abitur gefallen bin, hab ich mich überreden lassen auf die große Abi-Sause meiner Schule in einer Diskothek in Karlsruhe zu gehen. Als einziger in meinem Jahrgang der NICHT bestanden hatte. Das war emotional etwas aufwühlend und als ich dann nur noch nach Hause wollte, haben wir festgestellt, dass von unserem Auto jeder vom anderen erwartet hat, dass er den Fahrer macht. Also saß ich ohne Abitur, mit 3 Typen die ich nicht so richtig mochte in einem Auto fest, in dem alle darauf warteten, dass einer nüchtern genug ist um heimzufahren. Zur Unterhaltung dieser unfassbar trostlosen & kalten Situation lief auf dem Tapedeck des Autos eine Kassette mit der schlimmsten Schranz/Gabba-Technomusik die man sich nur vorstellen kann. Das war der Tiefpunkt – bis plötzlich „Without Eyes still seeing“ kam. Ich weiß bis heute nicht wie der Song auf dem Tape von dem Autobesitzer gelandet ist, ich glaube er hattte ihn von dem Film „The Edge Of Quarrel“. Hab es dann gleich Marcel gezeigt und seitdem sind wir große Bewunderer von Rockys Kunst)
Jawknee Music fragt: Hast du mal darüber nachgedacht, aufgrund der Wählergunscht auf Deutsch oder in Mundart zu singen?
Das tue ich ja mit meiner Deutschpunk Band Trafo (nicht die Alternative Rock Band Trafo aus Hamburg!). Zudem hatte ich mal ein kleines Schlager Projekt, das sich “Julia & Julian” nannte. Da gab es deutschsprachige Hits wie “St. Moritz” oder “San Fernando Blue”.
Wenn du eine Werbekampagne starten müsstest, um zum Beispiel The Joyless Sound of Happiness zu promoten- wie würde diese Kampagne aussehen, um die Leute zu ködern?
Hmm, da sprichst du wahrscheinlich meine größte Schwäche an.
Ich bin mit dem Gefühl aufgewachsen, dass ich die Menschen nicht mit meiner Promo/Werbung belästigen möchte. Das lief von Anfang an immer sehr unaufdringlich ab – ich hab 2014 für meine ersten Aufnahmen 50 Tapes gemacht. Zuhause aufgenommen, überspielt – das Cover an der Uni am Kopierer zusammenkopiert und dann an eine Liste von Freunden per Post geschickt von denen ich wusste dass sie meine Sachen mögen. Als kleine Aufmerksamkeit. Das hat sich mittlerweile alles professionalisiert, die Auflagen wurden größer und ich muss keine Tonträger mehr ungefragt verschicken.
Hier hab ich fast alles Marcel zu verdanken, der mir immer beratend und inspirierend zu Seite gestanden hat, was DIY angeht. Und die Grundidee ist irgendwie die selbe geblieben. Daher wäre mir die liebste Werbekampagne, wenn sich die Musik über Empfehlung verbreiten würde– von Ohr zu Ohr und ein kleiner Geheimtipp wird.
Ich bin einfach dankbar für jede/jeden der/dem die Musik irgendwas bedeutet.
Was schätzt du an Herrn Votolato?
Ich mag seine ruhig Art, die er trotz unvorhergesehener Tour-Strapazen nie verloren hat. Er ist außerdem ein sehr lustiger Mensch, wir mussten eine Autobahnfahrt unterbrechen, da ich vor lachen nicht mehr atmen/sehen/fahren konnte. Er hat mir zudem die Vorteile von guter Organisation offenbart, die ich zu fast 100% in mein musikalisches, finanzielles sowie privates Leben integriert habe.
Esther fragt: Marcel ist ungefähr der liebenswerteste und kuscheligste Typ, den es gibt. Gibt es auch nervige Seiten an ihm und wenn ja- welche?
Nein. Abgesehen davon, dass er meiner Meinung nach einer der besten Gitarristen und Songschreiber in Deutschland ist, gibt es nichts was mich wirklich nervt. Vielleicht noch, dass er früher mal so wahnsinnig gut aussah….
Dein Eindruck von Marcel, als du ihn zum ersten Mal begegnet bist?
Ich glaube, dass ich ihn das erste Mal am Sportplatz von unserem gemeinsamen Fussballverein gesehen habe. Mir ist aufgefallen, dass er fussballerisch zu den schwächsten gehörte, in einer Mannschaft, die immer am unteren Tabellenende der schlechtesten Liga der BRD dümpelte. Nach dem Training stand man in lockerer Runde und er sagte irgendwas sehr lustiges und das fand ich gut. Danach sind wir uns auf einer Hausparty eines gemeinsamen Freundes näher gekommen. Marcel hatte damals ein NOFX Live-Bootleg auf CD gebrannt, das hat mich wahnsinnig beeindruckt, da Bootlegs, gebrannte CDs und Punkrock zu dieser Zeit in dem Kaff in dem wir wohnten sehr ungewöhnlich war. Dann haben wir uns über Musik ausgetauscht und zum Proben bei meinen Eltern im Keller verabredet.
Citizien Tim fragt: Was machst du, damit beim Singen dein Goldkehlchen à la Ben Gibbard zum Vorschein kommt?
Absolut nichts. Ich würde mich einsingen, wenn mir jemand zeigt wie das geht.
Kannst du dich noch an deinen allerersten geschriebenen Song erinnern?
Erster Song war eine Co-Produktion mit Marcel Gein, als pubertierende Teenager bei meinen Eltern im Wohnzimmer, geschrieben auf der Akustikgitarre von meinem Vater. Ein unglaublich kitschiger Liebesbrief von mir, den ich aus verschiedenen (guten) Gründen nie abgeschickt habe. Ohne jegliche Scham haben wir das Teil einfach übersetzt und 4 Lagerfeuer Akkorde drunter gelegt. Fertig war die Laube. Wir haben letztens festgestellt, dass man ihn vermutlich sogar noch rekonstruieren könnte. Aber das lassen wir lieber.
Lustige und/oder peinliche Momente mit Marcel?
Lustige Momente gab es sehr viele in unserer gemeinsamen Zeit. Wirklich peinlich ist mir nichts, wir haben die Fähigkeiten entwickelt, die peinlichen Momente in lustige Geschichten umzuwandeln.
Wenn du Mental mal nicht auf der Höhe sein sollest- was hilft dir in dieser Situation?
Mir hilft es meistens aus einer Situation herauszugehen in der es mir schlecht geht und mich in etwas zu begeben was meine Aufmerksamkeit komplett absorbiert. Manchmal ist das Sport, manchmal ist das Lesen, manchmal ein Film schauen. Wenn das nicht möglich ist: einfach durchbeißen.
Außerdem hab ich mal gehört, dass man beim Singen aus Sicht der Hirnforschung zum Beispiel keine Angst empfinden kann, daher ist das auch eine Option.
Wie stellst du dir das Leben als Ministerpräsident vor und was würdest du direkt ändern wollen?
Stell ich mir einfach nur anstrengend vor. Zu viele Kleintierzucht-Vereine, Ortsverbände und sonstige Interessengruppen etc.
Meine erste Amtshandlung wäre die Anzahl Sekunden pro Minute von 60 auf 84 zu erweitern.
Der Moment, wo du dachtest: ‚Das probiere ich mal mit der Musik!‘?
Das waren die ersten Proben bei meinen Eltern im Keller zusammen mit Marcel. Wir haben halt einfach gemacht und es hat uns Spaß gemacht. Wir sind absolut dilettantisch an die Sache rangegangen und ich finde das bis heute einen guten Ansatz. Einfach ausprobieren und schauen was passiert. Der Auslöser war wahrscheinlich unser erstes Live-Konzert vor 15 schwer Betrunkenen im Pfälzer Wald. Das war ein schönes Gefühl!
Ein weiterer Moment war vor meiner ersten Helmet Lampshade Tour. Als ich mich auf Konzerte vorbereitet habe und die Songs für zum Live spielen probte, kam eine Nachbarin um zu fragen was ich für schöne Musik höre. Das hat mir gefallen – haha :)
Ina fragt: Wie schnell merkst du, ob ein Auftritt richtig gut wird oder nicht? Macht es dann noch Spaß mit derselben Energie weiterzuspielen oder spult man dann eher das Programm ab?
Knifflig – ich sag‘s mal so: die Empfindung ob sich ein Auftritt sehr gut anfühlt oder nicht hängt von vielen Kleinigkeiten ab. Der Trick ist sich nicht wirklich davon beeinflussen zu lassen. Dann kann es sein, dass man mit einem schlechten Gefühl loslegt und es sich in eine schöne Erfahrung entwickelt. Tatsächlich ist das dann auch meistens so.
Helmet Lampshade und Perry O’Parson unterwegs
12.02. Mainz, Kulturclub Schon Schön*
14.02. Konstanz, Klimperkasten
15.02. Freiburg, KISS
16.02. Schorndorf, Club Manufaktur*
*mit Christian Kjellvander
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