Be Well Spezial, Tag #8: Julia über Selbstzweifel

Be Well & The Weight and The Cost. Dieses Album bricht einen gekonnt entzwei, aber nicht auf diese quälende und unangenehme Art und Weise. Es ist die unschlagbare Kombination aus Kampfgeist, Ohnmachtsgefühl, tiefsitzendem Schmerz, Steh-auf-Attitüde und Hoffnungsschimmer, dass diese Platte so besonders und vielfältig macht. Es ist weit entfernt von ‚Mir ging es zu diesem Zeitpunkt richtig dreckig & da ist nichts mehr, wofür es sich zu leben lohnt.‘, ganz im Gegenteil: The Weight and The Cost bekommt immer wieder spielend die Kurve und weiß auch die andere Seite der Medaille zu zeigen, auch wenn sich diese erst nach mehrmaligem Hören so richtig zu erkennen gibt.

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Und das passt, wie ich finde, auch perfekt zum nächsten Beitrag von Julia über Selbstzweifel: in den letzten Monaten hat sich bei ihr einiges getan und für diese Be Well/Mental Health-Woche hat sie sich nochmal an ihren Text von März gesetzt und überarbeitet und zeigt damit, dass es meistens doch ganz anders kommen kann als vorher gedacht.

Vielen Dank an Julia!

Dieses 2020 hat für uns alle vor allem Corona gebracht, könnte man meinen. Für mich hat Corona gar nicht die große Veränderung gebracht. Bis zum Sommer dachte ich, noch ein Jahr, das sich an seine nicht so geilen Vorgänger reiht. Aber nix da. Dieser Text ist im eigentlich schon im März entstanden. Weil die liebe Jasmin mich angehauen hat, ob er nicht etwas für die Mental Health-Woche ist, habe ich ihn wieder rausgekramt. Und ja, ist er wohl.

März 2020:

Vorneweg: Ich war zu dem Zeitpunkt schon sehr lange auf Jobsuche. Und das in einer Stadt, in der sich kein Zuhausegefühl einstellt.

Nur weil man nicht mit der Rasierklinge an der Pulsader vor jemanden sitzt, kann es einem trotzdem scheiße gehen. Das Thema „Mental Health“ ist so vielschichtig wie Menschen.
Nur weil ich kein klassisches Trauma zu bewältigen habe, habe ich trotzdem Probleme, die man nicht sieht. Die nicht greifbar sind. Und um eins vorwegzunehmen, ich bin mehr als froh, dass ich nie irgendeinen Suizidgedanken hatte, dass während der Therapie keine versteckten Erinnerungen ans Licht kamen, die mich umgehauen hätten. Weil ich mir auch gar nicht anmaßen möchte, zu wissen wie das ist.

Ich habe „nur“ mit Selbstzweifeln zu kämpfen und dem Gefühl, nicht gut genug zu sein. Das hat mir mein Leben lang oft genug im Weg gestanden. Mit zum Mobbing im Job beigetragen, meine Depression befeuert. Ich war immer unsicher, bin es auch heute noch. Mich oft wie das fünfte Rad am Wagen gefühlt. Kommt jemand besseres, geht man halt. Irgendwie das Gefühl „die Julia ist halt da“, aber dass andere mich wirklich da haben woll(t)en, da bin ich mir nicht sicher bzw. gehe davon aus, dass sie es eher nicht wollen. Klar ist das nicht die ganze Zeit da, aber kommt doch immer wieder dann raus, wenn man es am wenigsten braucht.
Immer das Gefühl, nicht gut genug zu sein, nicht dazuzugehören. Das Gefühl, nicht genug Lob, nicht genug Anerkennung zu bekommen. Nicht hübsch genug zu sein, nicht schlank genug, nicht sportlich genug, nicht cool genug, nicht mutig genug. Dazu dann immer eher der Kumpeltyp.

Dazu dann aber nicht instabil genug, als dass es jemanden auffällt. Auf der anderen Seite zu laut, zu direkt, zu offen, zu was auch immer. Von anderen scherzhaft ausgesprochen, und egal ob so gemeint oder nicht, hat es mich getroffen. Das Bild von mir in meinem Kopf verfestigt. Dazu geführt, dass ich Komplimente selten annehmen kann, ernst nehmen kann, weil ich den Leuten nicht glaube, dass sie es genauso meinen.
In den letzten Jahren ist fast alles nicht so gelaufen, wie ich das gehofft habe, wie ich es mir gewünscht hätte, wie ich es geplant habe. Aber ich bin irgendwie nie komplett auf die Fresse gefallen. Gott sei Dank. Sondern meist auf die Füße. Habe vielleicht deswegen keine offensichtliche Schutzbedürftigkeit ausgestrahlt. Aber muss man erst am Boden liegen, damit einen jemand ernst nimmt? Damit man jemandem zugesteht, dass es ihm beschissen geht? Damit dir jemand die Hand reicht, um dir aufzuhelfen?

Ich hab mir bestimmt nicht vorgestellt, dass ich mit 35 hier in einer Stadt sitze, in der ich auch nach fünfeinhalb Jahre nicht angekommen bin und aus der ich weg will, ohne Familie, ohne Partner, ohne Kinder, ohne Job, ohne die guten Freunde in unmittelbarer Nähe. Was verdammt nochmal scheiße ist, was mich mehr als einmal zum Weinen bringt. Was ich aber meist vor anderen gut unter Kontrolle habe, weil ich ihnen nicht zur Last fallen will. Weil ich das Gefühl habe, man gesteht mir nicht zu, das alles kacke zu finden, weil ich – in den Augen vieler, die aber nicht die Eier in der Hose haben mir das ins Gesicht zu sagen – selbst schuld an der Situation bin, zu große Ansprüche an mein Leben habe, meinen Weg gehe. Mir ist vollkommen bewusst, in welcher Situation ich mich befinde, es Milliarden Menschen auf dieser Welt viel, viel schlechter geht. Nur besser macht das das Scheißgefühl nicht.

Nur weil ich erkannt habe, dass mich mein Job und die Situation dort mich krank gemacht haben, und ich was das Berufliche angeht, gewisse Entscheidungen dementsprechend treffe, macht es das weniger schlimm? Nein! Nur weil ich über die Depression offen reden kann, macht es das nicht besser. Die hat sich nicht einfach in Luft aufgelöst. Ich habe mein Leben lang immense Selbstzweifel mit mir rumgetragen, die mich tagtäglich begleiten, auch wenn ich es nicht auf der Stirn stehen habe. Aber ich hatte oft genug das Gefühl, dass ich das Leuten nicht erzählen kann. Natürlich auch bedingt dadurch, dass ich glaube, es interessiert sie ohnehin nicht.

August 2020:

Jetzt, fünf Monate später hat sich so unglaublich viel getan. Job, Ortswechselplan über Bord geworfen. Eine Perspektive. Auch wenn ich nicht weiß, wo sie mich hinführt. Ich stehe manchmal gefühlt neben mir und frage mich, wo das alles herkommt. Die Antwort ist sehr simpel: Blickwinkel verändern hilft. Und manchmal auch ein Arschtritt an sich selbst. Alle Selbstzweifel wird man wahrscheinlich nie los. Aber sich selbst damit konfrontieren hilft. Die viel beschworene Komfortzone verlassen. Bringt auf den ersten Blick Scheitern, Angst, Zweifel, Unglück. Oder kann es bringen. Kann aber auch genauso gut Stärke und Wachsen mit sich bringen. Angekommen am Ziel ist man wahrscheinlich nie. Aber der Weg kann verdammt gut sein.

Aber die Situation, die ich im ersten Teil erwähnt habe, dass Leute mir das „es geht mir scheiße“-Gefühl nicht „zugestehen“ wollen, die hatte ich vor kurzem wieder. Und dazu mal ganz klar: wenn es einem scheiße geht, geht es einem scheiße. Das muss jemand mir nicht zugestehen. Aber ich hatte mit einer Bekannten, vorher hätte ich sie noch als Freundin bezeichnet, genau diese Diskussion. Meine Situation sei ja nicht akut, anderen seien auch arbeitslos, hätten auch keinen Partner, ich müsse damit anders umgehen. Nix muss ich. Und das will ich hier mal ganz klar sagen: Wie man mit einer Situation umgeht, ist die eigene Entscheidung. Was sagt man denn bitte sonst zu jemand mit einer schweren Depression? „Stell dich nicht so an“ oder was? Das hilft nicht. Und es zeigt, dass man den anderen nicht ernst nimmt. Aber das müssen wir, mentale Probleme, egal wie groß oder klein sie sind: ernst nehmen. Drüber reden, da sein, Interesse zeigen und bitte nicht alles abtun.
Jeder nimmt Dinge unterschiedlich wahr. Gerade wenn es um Gefühle geht. Deshalb ist das eine weder falsch, noch das andere richtig.

Aber Dinge können sich eben auch recht schnell verändern. Seinen Weg gehen lohnt sich also. Wie sagt man so schön: THE BEST IS YET TO COME!

Tag #0: Interview mit Brian McTernan
Tag #1: Review The Weight and The Cost
Tag #2: Interview mit Diana von Freunde fürs Leben e.V.
Tag #3: Interview mit Oise Ronsberger
Tag #4: Interview mit James
Tag #5: Interview mit Depridisco
Tag #6: Interview mit Casandra & JC
Tag #7: Interwiew mit Andre Liegl

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