
Musiker: Nathan Gray
Album: Rebel Songs
Veröffentlichung: 17. Dezember 2021 via End Hits Records
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Produziert: von Brian McTernan in Baltimore
Anspieltipps: Look Alive, That Said, Don’t Wait Up, Radio Silence
Wenn uns Nathan eine Sache in den letzten Jahren gelehrt hat, dann auf jeden Fall diese hier: es gibt keinen Stillstand. Wir alle sind auf dieser Erde, um uns all den Dingen zu stellen, die uns das Leben in den Weg wirft. Zu lernen, dass wir zwar oft kämpfen müssen, aber daran immer wieder auf’s Neue wachsen. An all unseren Stürzen, an all an unserer Verzweiflung, an all unserem tiefsitzenden Schmerz, an all der kaum zu ertragenden Ungerechtigkeit in der Welt. Mit Feral Hymns (2018) gab uns Nathan einen tiefen Einblick in sein gebrochenes Inneres, um mit Working Title (2020) kurze Zeit später zu zeigen, dass aufgeben keine Option ist und jetzt mit Rebel Songs deutlich zu unterstreichen, dass sich das Kämpfen lohnt- ob es dabei nun um die eigenen Dämonen geht oder um die eigene Stimme für all die Menschen zu erheben, die tagtäglich Gewalt, Hass, Ungerechtigkeit und Hetze ausgesetzt sind.
Zugegeben: als Nathan in all den letzten Monaten vor dem Release ab und an schrieb, was wir bei diesem Album erwarten können, wurde mir ganz anders zumute. Immer wieder fielen Worte wie Ska, Raggae, Hip Hop und mein Hirn war nicht in der Lage, Nathan Gray und diese verschiedenen Musikstile auf irgendeine Art und Weise zusammenzuführen – ehrlich gesagt bekam ich es tatsächlich etwas mit der Angst zutun, haha. Wird das Album zu überladen? Werden zu viele verschiedene Musikstile vertreten sein, sodass es am Ende eher überfordernd wirkt? Wird diese Platte ein Reinfall? All das schwirrte mir durch den Kopf, während ich hibbelig auf die Promomail wartete, um mich hoffentlich eines Besseren belehren zu lassen.
Und wisst ihr was? All diese Fragezeichen im Kopf, all meine bisherigen Sorgen verschwanden, als plötzlich die langersehnte Promomail von Uncle M bei mir ankam, ich meine Kopfhörer aufsetzte und auf PLAY drückte.
All die verschiedenen Musikstile, all das, auf was uns Nathan im Vorfeld vorbereitete, traf ein, aber ganz anders als von mir erwartet: all die eingesetzten und verarbeiteten Einflüsse und Stile die sich auf diesem Album tummeln, sind so gut in diesen Songs verarbeitet, dass sie auf eine gewisse Art und Weise zwar hervorstechen, sich aber nahtlos und fließend in das einfügen, was wir von Nathan Gray bereits kennen und lieben. Soll heißen: dadurch, dass musikalisch zwar viel in diesen 12 Songs passiert und dass man mit jedem neuen Hördurchgang auf neue noch unentdeckte Nuancen stößt und sich daran erfreut, bleibt es dennoch unverkennbar Nathan Gray. Auch mit Rebel Songs ist er sich treu geblieben, zeigt aber auch deutlich, dass er Mut zur Weiterentwicklung hat und sich an all dem ausprobiert, was ihm beim Findungsprozess durch den Kopf geht. Stillstand? Das scheint ihm ein völliges Fremdwort zu sein.
Nathan Gray ist innerlich gewachsen und genau das ist das Besondere, zumindest für mich, wenn ich mir Rebel Songs anhöre. Klar, der Schmerz aus der Vergangenheit nagt noch immer an ihm, er ist auf eine Art und Weise stets präsent, aber längst nicht mehr so stark ausgeprägt wie in all den letzten Jahren. Sich zu öffnen, darüber zu sprechen, sich und anderen damit Mut zu machen, daraus Stärke zu gewinnen und sich mehr und mehr der Vergangenheit zu stellen, die aufgebaute Mauer einzureißen, daran zu arbeiten. All das, aber auch die mentalen Zusammenbrüche und die nagenden Zweifel dazwischen sind genauso gut festgehalten und spielen sich gegenseitig in die Hände. Dennoch hat es etwas Aufbauendes, etwas Positives an sich. Etwas, was Hoffnung für den nächsten Tag, für die nächste Woche, für die Zukunft gibt. Nathan beweist einmal mehr, auf welch einem guten Pfad er sich befindet und dass er diesem weiterhin unerschrocken folgen wird.
Welcher Song mir immer wieder die Tränen in die Augen treibt? Nun, das ist schnell beantwortet: Don’t Wait Up. Ich denke an George Floyd, ich denke an seinen auf Video festgehaltenen mehrminütigen Todeskampf, während der Polizist mit einer inneren Zufriedenheit und mit einem Lächeln im Gesicht auf seinem Nacken kniet und ihn langsam aber sicher die Luft zum Atmen nahm, als wäre es das normalste auf der Welt. Ich kann mir dieses Video bis heute nicht mehr ansehen, ohne in Tränen auszubrechen. Auch wenn mir dieser Song einiges abverlangt, bringt er auf der anderen Seite Zuversicht und Hoffnung mit sich: all das, was mit dieser Videoaufnahme, mit dem Tod von George Floyd losgetreten wurde- all die lang andauernden Proteste, all die Ausschreitungen, das Einfordern von Gerechtigkeit. All die Menschen, die auf die Straße gingen, gemeinsam trauerten, aber auch gemeinsam dafür kämpften, die Polizisten, die daran beteiligt waren, zur Verantwortung zu ziehen. Zu sagen: Es reicht! Die ausgehende rassistische Brutalität von Polizisten gegenüber PoC, all diese Morde, bei denen es noch nicht einmal Anklagen gab, das sinnlose Blutvergießen auf den Straßen. George Floyd brachte dieses Fass endgültig zum Überlaufen. So traurig und erschreckend sein Tod auch war, es begann sich etwas zu bewegen – auch in den Köpfen der Menschen, die bei solchen Vorfällen sonst nur beherzt mit den Schultern zuckten.
Rebel Songs rüttelt wach, ob politisch, emotional oder auch auf ganz anderen Ebenen. Die Songs ecken an, regen zum Umdenken an. Herzzerreißend, aufwühlend, mitreißend, stets mit der Faust in der Luft. Es wird an die Menschlichkeit appelliert, die gefühlt immer mehr in der heutigen Zeit verloren geht. Es wird wieder ins Gedächtnis gerufen, wie wichtig es ist, für einander einzustehen, für einander da zu sein, sich gegenseitig zu helfen und zu unterstützen. Sich der Verantwortung bewusst zu werden, die jeder Einzelne von uns trägt und wie sehr wir diese für das Gute in dieser Welt einsetzen können. Sich nicht von Rückschlägen entmutigen zu lassen, diese stattdessen für sich selbst ins Positive zu wandeln und umso stärker aus dieser Situation rauszugehen und neu anzusetzen. Ich für meinen Teil bin froh darüber, dass im Entstehungsprozess so viel rumexperimentiert wurde und diese Platte dadurch so erfrischend um die Ecke kommt, sodass zumindest ich nicht genug von diesen Songs bekommen kann, die mir nur innerhalb weniger Stunden rasend schnell ans Herz gewachsen sind. Was Nathan Gray, Becky Fontaine, Jed Johnson, Gene Priest, Derek Jones, Phillip Smith und Brian McTernan dort geschaffen haben ist etwas für die Ewigkeit, ein wahrer Meilenstein.
Rebel Songs reiht sich nahtlos bei Feral Hymns und Working Title ein, erzählt dabei aber seine ganz eigene Geschichte, ohne aber an Zusammenhang zu verlieren. Welch ein grandioses Album, welch grandiose Menschen, die daran beteiligt waren. Ich für meinen Teil kann es nicht erwarten, diese Songs endlich LIVE hören zu können. Wie sieht’s bei euch aus?!